Benötigt das Parlament mehr Geschäfte, Kommissionen und Voten?
Fraktionspräsidenten nehmen Stellung zum Vorwurf, die Gossauer Legislative sei zu brav
Nach 18 Jahren trat Gallus Hälg im Dezember als dienstältestes Mitglied aus dem Parlament zurück und verabschiedete sich mit einer kritischen Rede, in der er eine fehlende Debattenkultur im Gossauer Parlament anmahnte. Die Meinungen der Gossauer Fraktionspräsidenten dazu gehen auseinander.
Stadtparlament Die Gossauer Legislative sei «zu brav», Anträge des Stadtrates würden meist ohne Widerspruch durchgewunken und es werde wenig um die konkrete Ausgestaltung gerungen, wandte sich Gallus Hälg in seiner letzten Rede an die Adresse seiner Kolleginnen und Kollegen im Stadtparlament. Für die Zukunft würde er sich die Einsetzung von mehr Kommissionen, in denen um die konkrete Ausgestaltung gefeilscht werde, Streichungs- oder Zusatzanträge aus den Reihen der Parlamentarier und mehr Voten im Parlament wünschen, erklärte Hälg im Interview (Gossauer Nachrichten vom 21. Dezember 2022).
Drei Präsidenten für mehr Voten
Unterstützung erhält er von Parteikollege Markus Rosenberger, der die SVP die letzten Jahre als Faktionspräsident anführte: Im Vergleich mit anderen Parlamentsbetrieben sei das Stadtparlament Gossau tatsächlich ein «Streichelzoo». Dass im Gossauer Parlament vergleichsweise wenig debattiert wird, sieht auch SP-Fraktionspräsident Florian Kobler so: «Eine lebendigere Debattenkultur würde dem Parlament guttun, dafür braucht es aber auch deutlich mehr Parlamentsgeschäfte.» FLiG-Fraktionspräsident Matthias Ebneter würde sich ebenfalls mehr Voten wünschen. «Diese sollten aber auch unterschiedliche Aspekte beleuchten.» Dort liege wahrscheinlich auch die Schwierigkeit, da vorbereitete Voten meist Wiederholungen vom Vorredner seien. Andi Zingg (Mitte) und Sandro Contratto (FDP) sehen denn auch keine Veranlassung für mehr Reden. «Grundsätzlich reicht für ein Geschäft das Votum eines Vertreters oder einer Vertreterin pro Fraktion aus – ausser diese ist geteilter Meinung», so Zingg. «Wenn es nicht mehr Voten aus den Fraktionen gibt, heisst das auch, dass schon alles gesagt wurde», stellt Contratto fest.
Zusätzliche Kommissionen?
Auch der Forderung nach mehr Kommissionen folgen Contratto und Zingg nicht. Contratto sagt, zu jedem wichtigen Geschäft gebe es eine VBK und je nachdem wie Geschäfte vorbereitet seien, würden die Beleuchtungstiefen angepasst. Zingg findet, die Menge an Vorberatenden Kommissionen sei gut gewählt. Einfachere Geschäfte könnten ohne VBK behandelt werden. Aufgrund des aktuellen Investitionsstaus fehle dem Parlament schlicht eine sinnvolle Anzahl an Geschäften. Nicht mehr VBK, aber zusätzliche ständige Kommissionen bringen die anderen Fraktionspräsidenten ins Spiel. Kobler hält eine Liegenschaftskommission, die sich mit städtischen Grundstücken beschäftigt, sowie eine Verkehr- und Umweltkommission für sinnvoll, um in diesem Bereich mehr Druck aufzusetzen. Rosenberger plädiert für eine ständige Finanzkommission, da so «aktiver auf Geschäfte eingewirkt werden» könne, Ebneter spricht von einer Finanz- und Liegenschaftenkommission, die «sinnvoll sein könnte».
Anträge kommen zu spät
Zu den zusätzlichen Streichungs- und Änderungsanträgen, die Hälg vorschweben, meint Ebneter: «Ich glaube nicht, dass wir schlussendlich mit mehr Zusatzanträgen richtiger entscheiden». Oftmals seien die Vorlagen bereits ausgewogen oder würden in den VBK bereits entsprechend angepasst. Das sieht auch Contratto so. Nach den VBK-Sitzungen würden die Mitglieder ihre Fraktionen informieren. Sei die Fraktion nicht zufrieden, könne sie im Parlament weitere Streichungen und Anträge formulieren. Für Florian Kobler ist das Problem grundsätzlicher. In erster Linie brauche es mehr Geschäfte im Stadtparlament. Es fehlten Kriterien die definierten, welche Geschäfte im Parlament behandelt werden müssen: «Da braucht es eine Klärung, um die Kompetenzen und die Verantwortung des Parlaments zu stärken.» Als wünschenswert bezeichnen dagegen Zingg und Rosenberger mehr Streichungs- und Zusatzanträge, wobei der Mitte-Fraktionspräsident einschränkt, dass solche frühzeitig kommuniziert werden müssten. Meist würden diese erst bekannt, wenn «alle Fraktionen ihre Diskussionen schon geführt haben». Dann seien sie nicht mehrheitsfähig.
Kein Durchwinken
Den Vorwurf von SVP-Vertreter Hälg, Anträge des Stadtrates würden durchgewunken, weisen die Fraktionspräsidenten der anderen Parteien zurück. Da Stadträtinnen und Stadträte auch an den Fraktionssitzungen teilnähmen, könnten einige Fragen dort schon geklärt werden, gibt Zingg zu bedenken. «Dies entspricht nicht meinen Erfahrungen», sagt Contratto zu Hälgs Einschätzung. Die Anträge des Stadtrates würden in den VBK analysiert und anschliessend gebe es eine demokratische Abstimmung. «Anträge werden eben oftmals in der VBK schon vertieft beraten und allenfalls angepasst», analysiert Ebneter. Daher habe man nachher insbesondere bei Strassenbau- und Infrastrukturprojekten oftmals Einstimmigkeit. Auch Kobler sieht es differenzierter und verweist auf die Änderungsanträge aus seiner Fraktion, die im «klar bürgerlichen» Parlament aber einen schweren Stand hätten. Stadtpräsident Wolfgang Giella meint, er habe es in den VBK keinesfalls so erlebt, dass Anträge durchgewunken worden seien, und erinnert an das Stadtmagazin, das über das Ratsreferendum letztlich verhindert worden sei.
Ratslinke öfters auch allein
Auch den Einwand, nur die SVP wehre sich gegen Beschlüsse, lassen die anderen Fraktionspräsidenten so nicht gelten. Contratto verweist darauf, dass sich auch die Ratslinke öfter allein «gegen den Rest des Parlaments gewehrt» habe, woran auch Kobler erinnert. Zingg meint, die SVP habe insbesondere beim Budget oftmals allein eine eigene Meinung: «Eine Rückweisung des Budgets verringert jedoch nicht automatisch den Kernaufwand, dafür blockiert sie die Arbeit der Verwaltung.» Für Ebneter sieht sich die SVP auch in Gossau selber gerne in der Rolle der Opposition: «Das macht sie für die Wählerinnen und Wähler auch sichtbarer. Wichtiger ist aber immer, ob es inhaltlich der Sache dient.»
Von Tobias Baumann