Geht nach Hause Kinder!
Ein Leitartikel zur Eskalation der Jugend-Party in der St.Galler Innenstadt
Dass Jugendliche und junge Erwachsene nach mehreren Monaten der Einschränkungen wieder ungehemmt Party machen wollen, ist verständlich. Wie sich viele von ihnen - angeblich als Teil einer politischen Stellungnahme - am Freitag in der Innenstadt aufführen, dagegen keineswegs.
Roter Platz Bei einem Augenschein vor Ort auf einem bestens gelegenen Balkon kann man nur staunen über den grossen Mut, den einzelne Jugendliche am Freitagabend an den Tag legen. Beispielsweise jener junge Mann, der aus rund 35 Metern den Polizisten zuruft: «F? deine Mutter», wobei nicht überliefert ist, welchen der Beamten er meinte. Oder jener vor Kraft strotzende Zeitgenosse, der aus 30 Metern ein Holzbrett Richtung der Uniformierten schleudert, das 28 Meter vor der lebenden Polizeisperre wieder landet. Und natürlich all jene, die Bierflaschen werfen, um sich sofort in der Menge zu verstecken, um ja nicht selbst Ziel des Gummischrots zu werden. Unter all diesen Helden sticht jener junge Mann noch hervor, der sein T-Shirt anhebt, damit in seinem Selfie-Video sein Sixpack zu sehen ist. Während also ein Teil der Jungs testosterongesteuert und der Gruppendynamik folgend todesmutig in den Kampf stürmt, fallen sich die jungen Frauen und Mädchen um den Hals und feiern ihr Wiedersehen nach einer kurzen Unübersichtlichkeit, als hätten sie sich nach Jahren endlich wieder gefunden. Viele von ihnen beweisen ihrerseits Mut, indem sie trotz nächtlicher Kälte bauchfrei unterwegs sind. Doch während sich über Mode bekanntlich streiten lässt, darf man den weiblichen Anwesenden attestieren, dass von ihnen keinerlei Gewalt ausgeht. Und dass sich die Jungs teilweise wohl auch so furchtlos geben, um die Girls zu beeindrucken, kann man diesen nicht anlasten. Wer diese und andere Szenen mit eigenen Augen gesehen hat, kann nur schwer glauben, dass es sich bei diesem Zusammentreffen um ein politisches Statement handelt. Viel wichtiger scheint den meisten Anwesenden zu sein, ein Video zu drehen, mit dem sie später Eindruck schinden können. Die in Kampfmontur erschienenen Polizisten können einem leidtun, schliesslich möchten sie kaum mit Gewalt gegen Kinder vorgehen. Doch neben den beschriebenen, eher harmlosen Anwesenden, die zwar gegen die Corona-Auflagen verstiessen, von denen aber kaum Gefahr ausging und für deren Party-Lust man nach langer Zeit der Einschränkungen ja durchaus Verständnis haben kann, waren eben auch Chaoten unterwegs, die mit Feuerwerkskörpern, Brandsätzen und Steinen die Polizisten bewarfen. Und das sind keineswegs Lausbubenstreiche, sondern kriminelle Taten, die durch geschlossene Clubs und Bars in keiner Weise zu rechtfertigen sind. Der grossen Mehrheit, die durch ihre Anwesenheit genau solche Idioten schützt, möchte man vom Balkon aus am liebsten zurufen: «Geht nach Hause Kinder, bald fährt der letzte Zug!»
Von Tobias Baumann