Alfred Zwickl
amtet seit 1998 als Präsident des Ortsmuseums Wittenbach.
Obwohl sich der Gründer der Raiffeisenbewegung, Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 – 1888) antisemitischer Formulierungen bediente, kommt ein ETH-Bericht zum Schluss, dass Judenfeindlichkeit im Bankengeschäft von Raiffeisen Schweiz keine Rolle gespielt habe.
Aufarbeitung Raiffeisen Schweiz hat beim Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich einen unabhängigen Forschungsbericht zur Geschichte der Raiffeisenbewegung in der Schweiz in Auftrag gegeben. Das Forschungsteam unter der Leitung von Dr. Gregor Spuhler sollte die mutmasslich antisemitische Geschichte der Bank von ihren Anfängen bis 1950 beleuchten und aufarbeiten. Der Bericht wurde nicht zuletzt deshalb in Auftrag gegeben, weil ein Komitee um den Historiker Hans Fässler im letzten Jahr die Umbenennung des Raiffeisenplatzes in «Recha-Sternbuch-Platz» forderte.
Der Forschungsbericht zeigt, dass F. W. Raiffeisen sich zwar antisemitischer Formulierungen, Stereotypen und Ausdrücken bediente und insbesondere den angeblichen «jüdischen Wucher» anprangerte, sich aber um 1880 vom politischen Antisemitismus deutlich distanzierte, hiess es an einer Medienkonferenz am Raiffeisen-Hauptsitz in St.Gallen. Auch Schweizer Raiffeisen-Vertreter übernahmen das Stereotyp des «jüdischen Wuchers» und die Erzählung, Friedrich Wilhelm Raiffeisen habe die deutschen Bauern von der Ausbeutung durch «die Juden» befreit. Die ETH-Forscherinnen und Forscher fanden jedoch keine Hinweise darauf, dass Antisemitismus in der Geschäftstätigkeit des Schweizerischen Raiffeisenverbandes oder einzelner Kassen eine Rolle gespielt hätte. «Es gab keine Anzeichen dafür, dass sich die regionalen Kassen gegen jüdische Viehhändler oder Geldverleiher gerichtet hätten», erklärt Historikerin Verena Rothenbühler und ergänzt: «Auch war Raiffeisen als klassische Inlandbank nicht in die Raubwirtschaft der Nazis verstrickt.»
Für den Bericht hatten die Forschenden Zugang zum zentralen Archiv sowie zu Regionalarchiven der Bank, untersuchten Verbandszeitschriften und beleuchteten die Quellen über den Gründer. «Die insgesamt schmale Quellenlage offenbart allerdings Widersprüche», erklärte Spuhler. So verwendete F. W. Raiffeisen in einem unveröffentlichten Bericht eine pathologisierende antisemitische Sprache und bezeichnete die Juden als potenzielles «Krebsgeschwür». In einem öffentlichen Grundsatzartikel sprach er sich kurz danach aber explizit gegen die politische «Judenhetze» aus. Gemäss ETH-Bericht engagierte sich F. W. Raiffeisen nicht in der antisemitischen Bewegung und forderte keine Einschränkung der Rechte der Juden, sondern deren «Assimilation»; die Statuten seiner Darlehenskassen schlossen Jüdinnen und Juden nicht aus. Der ETH-Forschungsbericht hält fest, dass F. W. Raiffeisens Aussagen über die Jüdinnen und Juden zwar antisemitische Vorurteile, aber keine konsistente antisemitische Ideologie offenbaren. «Die Idee der Genossenschaftsbank von F.W. Raiffeisen gründete nicht in der Verfolgung antisemitischer Zwecke», sagte Spuhler, «er wollte die Lebensbedingungen der verarmten Bevölkerung verbessern.»
Ab 1902 entstanden in der Schweiz hauptsächlich in ländlichen katholischen Gebieten zahlreiche Raiffeisenkassen. «In diesem konfessionellen und sozialpolitischen Milieu waren judenfeindliche Vorurteile weit verbreitet», sagt Rothenbühler Raiffeisen habe ein «antisemitisch kontaminiertes Gründungsnarrativ», das über Jahrzehnte wiederholt wurde. Aber es gebe keine Belege dafür, «dass sich der Antisemitismus in der Geschäftstätigkeit des Verbandes und der Kassen niedergeschlagen hätte», heisst es im Fazit des Berichts.
Die Bankengruppe distanziere sich von den antisemitischen Äusserungen ehemaliger Exponenten, sagte Christian Hofer, Raiffeisen-Zuständiger für Nachhaltigkeit, Politik und Genossenschaften. Mit dem Forschungsbericht nehme die Bankengruppe ihre Verantwortung für ein «differenziertes Geschichtsverständnis» wahr. Während die Bank keinen Grund sieht, die Platzinschrift für den Bankgründer zu ändern, meint Spuhler, dass es sowohl Argumente für als auch gegen eine Umbenennung gebe. «Antisemitische Grundhaltungen in der Gesellschaft könnten mit einer Umbenennung nicht weggewischt werden», sagte Spuhler. «Man kann die Geschichte nicht entsorgen, sondern muss sie kontextualisieren.» Ob die Tafel für F. W. Raiffeisen abgehängt oder mit Erklärungen zu seinem Antisemitismus ergänzt werde, sei nicht Sache von Raiffeisen, sondern der Stadt. Und diese liess ausrichten, dass die Stadtregierung nach der Lektüre des Forschungsberichtes Stellung nehmen möchte. Auch das Komitee will den nun vorliegenden Bericht zuerst lesen und dann weiter kommunizieren.
Von Benjamin Schmid
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