Vica Mitrovic
über sein Jahr als St.Galler Stadtparlamentspräsident.
Die Polit-Auguren sind bezüglich des zweiten Wahlgangs für die St.Galler Regierung vom 14. April vorsichtig. Sie wollen sich nicht auf die Äste hinauslassen, denn es ist schwierig, die diversen Einflüsse auf das Wahlverhalten richtig zu gewichten.
Regierungswahl Der Verzicht des grünen Daniel Bosshard und der grünliberalen Sarah Noger-Engeler auf die Beteiligung am zweiten Wahlgang hat die Ausgangslage vereinfacht, ohne dass aber die Spannung tangiert wurde. Hätten die linken Stimmen geteilt werden müssen, wäre ein offenes Tor für die beiden SVP-Kandidierenden geschaffen worden. Mit der Einigung der Linken auf SP-Kandidatin Bettina Surber bleibt der Wahlausgang offen. Die Ausgangslage für die beiden SVP-Kandidierenden Dana Zemp und Christof Hartmann ist also nicht komfortabel, doch bleiben ihre Wahlchancen intakt. Mit über 58’000 Stimmen lagen sie im ersten Wahlgang mit 10'000 Stimmen Vorsprung vor der nächstplatzierten Bettina Surber. Da sie fast die gleich hohe Stimmenzahl erzielt haben, ist ein etwa gleich starker Rückhalt erkennbar, sodass es für Surber nicht einfach werden wird, sich resultatmässig zwischen die beiden zu platzieren. Auf der anderen Seite muss sich die SVP anstrengen, um die nötige Mobilisierung der eigenen Leute zu bewerkstelligen und bei den anderen bürgerlichen Parteien noch mehr Sympathie zu gewinnen. Eine offene Frage ist das Verhalten der Wählerschaft der Mitte, deren Leitung Stimmfreigabe beschlossen hat. Die FDP hat eine Wahlempfehlung für die beiden SVP-Kandidaten Zemp und Hartmann abgegeben, Grüne und Grünliberale stellen sich hinter Bettina Surber. Die EVP favorisiert ebenfalls Bettina Surber, spricht aber auch Christof Hartmann ihre Unterstützung aus.
Offen ist auch die Frage, wie die für feministisch gehaltenen Äusserungen von Dana Zemp im zweiten Wahlgang gewichtet werden. Sie erklärte einmal in einem Interview, im Kantonsarztamt nur Frauen eingestellt zu haben. Die Regierung relativierte dann aber in einer Interpellationsbeantwortung diese Aussage. Auf der anderen Seite spricht für Dana Zemp, dass sie zur Corona-Zeit als Kantonsärztin stets kühlen Kopf bewahrt hat und mit Augenmass vorgegangen ist. Bei Christof Hartmann scheint sich der Prozess gegen ihn als Vizepräsident des Walenstadter Gemeinderates, der mit einem Freispruch geendet hat, aber weitergezogen wird, kaum negativ ausgewirkt zu haben.
Bei Bettina Surber gilt es zu bedenken, dass sie bei den Kantonsratswahlen im Wahlkreis St.Gallen mit 11’000 Stimmen das beste Resultat aller Kandidierenden erreicht hat. Bei den Wahlen in den Kantonsrat hat sie im Wahlkreis St.Gallen zudem am meisten Panaschierstimmen erhalten. Sie ist in der engeren Region also sehr populär. Sie muss aber namentlich in den Land-Wahlkreisen noch kräftig zulegen. In der Stadt St.Gallen mit der starken Linken kann sie dagegen ein hervorragendes Abschneiden erwarten, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie die einzige Kandidierende aus der Kantonshauptstadt ist. Dabei wird ihr von den Bürgerlichen im Kantonsrat nachgesagt, dass sie politisch sehr links stehe, was es schwieriger macht, bürgerliche Stimmen zu angeln. Diese Beurteilung ist auch darauf zurückzuführen, dass sie sehr pointiert ihre Auffassung zum Ausdruck bringt und dies in freier Rede und nicht ab Papier, überdies eine sehr mutige kritische Haltung gegenüber Ungereimtheiten auch an der Universität einnimmt, wo sie schon einiges aufgedeckt hat. Bei der Regierungswahl 2020 wurde SP-Kandidatin Laura Bucher gegenüber Michael Götte von der SVP vorgezogen, was der SP Zuversicht geben kann.
Letztlich ist auch die Kandidatin Sarah J. Bösch zu berücksichtigen, die mit den erzielten 39’000 Stimmen als die eigentliche Überraschung im ersten Wahlgang gilt. Zwar dürfte sie bei aller Aktivität kaum gewählt werden, doch kann sie SVP-Stimmen in schwer abschätzbarer Höhe absorbieren, war sie doch früher SVP-Mitglied. Von Rot-Grün wird sie im zweiten Wahlgang indessen kaum grosse Unterstützung erhalten. Obwohl ihre Wahlchancen gleich null sind, könnte sie das Ergebnis bestimmen. In den zweiten Wahlgang wagt sich auch der parteilose Pfarrhelfer Alfred Tobler aus Rorschach, obwohl er im ersten Wahlgang nur 17'580 Stimmen erreicht hat, dreimal weniger als Bettina Surber. Er dürfte das Gesamtresultat kaum beeinflussen.
Von Franz Welte
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